Betrachtungen in der Nürnberger Burgkapelle

In Nürnberg gibt es auf der Burgkapelle (ca. aus dem 15. Jahrhundert) ein großes Kruzifix. Die Sitzreihen sind so angeordnet, dass der Adel oben saß, die Bürgerschicht in der Mitte, und das gemeine Volk in den untersten Reihen. Der Bildhauer hatte das Gesicht der Jesusfigur so konzipiert, dass es verschiedene Ausdrucksformen hatte, je nachdem von welcher Sitzhöhe man es betrachtete: Die Adligen wurden angelächelt, für die Bürgerschicht war es wohl eine Art Mittelding, aber das gemeine Volk bekam das grimmige Gesicht zu sehen.
Scheinbar gab es geistlichen Missbrauch wirklich zu allen Seiten, mehr oder weniger subtil, oder wie hier in aller Offenheit.

In einer Bibelstudie habe ich erfahren, dass in den Jesu Worten das „Wahrlich, wahrlich ich sage euch“ tatsächlich Amen, Amen bedeuten würde und eigentlich die Bekräftigung des vorhergehenden Satzes sei.
Wenn dies stimmt, würde das Neue Testament für einige Aspekte eine ganz andere Betonung bekommen, und auch Jesus in einem anderen Licht erscheinen, vielleicht weniger dogmatisch, eher persönlicher engagierter und menschlicher. Mir fiel auf, als ich die Bibel daraufhin durchgelesen habe, wie er sich vom religiösen Regime distanziert, auch nicht unterschwellig oder im „geheimen Bund“ damit stand, und irgendwann „kommt es alles raus“, nein, er war da konsequent.

U.a. dadurch hatte ich den Mut, mich Gott als Vater zu stellen:
Zuerst dachte ich: Lass los von dem was du in der (Frei-) Kirche über Gott gehört hast, auch was du in Büchern gelesen hast. Jesus sagt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Auch wird Gottes Charakter in der Natur widergespiegelt. Da wurde mir klar: Gott ist kein Patriarch.
Jesus ist nicht der den das Kruzifix in der Nürnberger Burg darstellt.

Jesus wäre nie gestorben, wenn er sich mit der „oberen Mittelschicht“ identifiziert hätte. Er legte buchstäblich jeden Moment sein Leben hin, und forderte es heraus, wenn er Heuchelei oder Sensationslust festgestellt hatte. (Markus 3: 3: „Komm und steh auf vor jedermann“ sagt Jesus zum Kranken, als alle darauf warten, ob er wieder in die Falle geht – d.h. am Sabbath heilt). Er lebte das aus, konsequent und kompromisslos, was die Essenz seines Wesens war: Liebe für Verlorene, Liebe, Liebe und nochmals Liebe. Auf Grund dessen wie Er war, wie Er sein Wesen auslebte, wie Gott ist, ist der Weg frei. Dass der Vorhang zerriss, der neue Bund zustande kam, ist nur die „Spitze des Eisberges.“ Nur der Einband eines großen Paketes von all seinem gelebten Leben, eigentlich dessen natürliche Konsequenz. Die Naturgewalten müssen weichen (der Vorhang zerriss von oben nach unten, Finsternis am Mittag, und ein offenes Grab) bei so einem Maß an Liebe und Licht.

Kein Wunder, dass dieses Gottesbild so umkämpft und entstellt ist, da muss ein großes Interesse daran bestehen. Kein Wunder auch, dass die Dämonen in der Wüste (als Jesus dort 40 Tage fastete und danach) und in Gestalt der Pharisäer auf ihn aufmerksam wurden. Er bewegte etwas, stellte die uralten Systeme von Machtmissbrauch auf den Kopf. Dies war nur dem möglich, der das letze Wort hat, der über allem das Sagen hat, dem „Chef“ des Universums, nur Er konnte dieses System zu Fall bringen. Jesus ist leidenschaftlich in dieser Beziehung. Er greift die falschen Machtsysteme und Kompositionen der Schriftgelehrten und Pharisäer an - damals wie heute.