Worte

Worte leben.

Wenn Worte gesprochen werden, fangen sie an zu leben.

Worte durchdringen alle Mauern.

Worte wandern bis zu deinem Herzen.

Worte nehmen sich Wohnung in dir.

Worte können lange schweigen in dir und schlummern.

Und du weiß nicht, daß sie in dir wohnen.

Worte erwachen in dir, und du hörst sie wieder.

Tief in dir leben sie immer weiter.

Worte werden zu Bildern.

Du siehst die Bilder und erschrickst:

ERINNERUNGEN

Schade, daß du keinen Filter hattest.

Einen Filter, den nur Lebensworte durchdringen können.

Nun aber verschlucken die dunklen Worte die lichten.

Und nur düstere Bilder leben in deinem Innern.

Und du wünschtest, dieser Speicher wäre gelöscht.


Ich geh mit dir

Vögel singen im Garten.

Ich sehe ihr Springen und Flattern zwischen den kahlen Ästen der regennassen Bäume vor meinem Fenster.

Warum stört mich ihre Ausgelassenheit?

Ich erkenne zarte zaghafte Blüten in der Wiese hinterm Haus.

Blätter und Blütenkelche zum Erdboden geneigt durch schwere kristallklare Tautropfen.

Wieso beunruhigen mich ihre leuchtenden Farben zwischen dem Gras?

Ich spüre leise kühle Regentropfen auf meinen Armen, meinem Gesicht.

Vor meinen Augen ein durchsichtiger Schleier tausender Tropfen, der die Konturen und Umrisse in der Ferne verwischt.

Weshalb empfinde ich die Feuchtigkeit auf meiner Haut so kalt und stechend?

Ich sehe Kinder ausgelassen in Pfützen springen, höre ihre Stimmen, die einander etwas zurufen.

Mich stören ihre bunten Gummistiefel und die glänzenden Regenjacken vor dem Hintergrund des schwarzen Asphalts.

Ich schlage DAS BUCH auf.

Buchstaben tanzen vor meinen Augen.

Wörter ziehen in Schlangenlinien durch meinen Verstand.

Da, plötzlich: Eine Stimme flüstert mir etwas zu:

Ich will dich heilen, weil ich dich liebe.

Du bist mein geliebtes Kind.

Ich bin bei dir.

Erster Donner. Blitze. Regen, der an die Scheiben prasselt.

NEIN!

Mich liebt keiner.

Niemand liebt mich.

Ich bin allein.

Ich bin verlassen.

Das Gewitter tobt, dunkel und schwer fegt der Sturm Wolken über den Himmel.

Stumme Vögel. Pfützen wachsen zu Bächen, treiben lose Blütenblätter vorüber.

NEIN!

Es ist nicht möglich, dass DU mich liebst.

Wo warst DU in all meinen Schmerzen, meiner Einsamkeit, meiner Verlassenheit, der

ungestillten Sehnsucht, in den schlimmsten Stunden trauriger Vergangenheit?

Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.

Ich leide mit dir, ich fühle deine Angst, ich fühle deinen Schmerz!

Eine Hand legt sich um meine bebenden Schultern.

Mein Schrei verstummt, aus meinen Augen fließen erste Tränen.

Sie rinnen über mein Gesicht, tropfen auf meine zitternden Finger.

Ich kann es zulassen, ich kann die Tränen fließen lassen.

Das Donnern in der Ferne ist kaum noch zu hören.

Ich stehe auf.

Ich öffne das Fenster.

Sonne scheint auf mein Gesicht.

Tränenspuren trocken salzig.

Ein Sperling flicht ein Gänseblümchen ins Nest.

Ich flüstere:

Ja!

Ja, Jesus, ich will leben.

Weiterleben.

An deiner Hand, unter deinem Schirm.

Mit dir gehen in das Land hinter allen Schatten dieser Welt.


Schattenschlafnächte


Wie Perlen auf eine Schnur gefädelt:

Schattenschlafnächte

Im Entstehen: eine Kette

Keine Kette zum Schmuck

Dafür sind die Perlen zu ungleich

Große Perlen

Kleine Perlen

Rundgeschliffen

Oder Ecken und Kanten

Scheinbare Systemlosigkeit in ihrer Folge

Dazwischen: Knoten

Gedankenknoten

Unentwirrbar

Unlösbar

Geknotet am Tag

Verbindung zwischen Schattenschlafnächten


Da gibt es EINEN, der die Kette baut

EINEN, der die Perlen in seinen Händen hält

EINEN, der die Perlen aneinanderreiht

EINEN, der die Auswahl trifft

EINEN, der die erste mit der letzten Perle verbindet


Wenn der letzte Knoten geknüpft ist:

Vollendung

Anfang und Ende

Sinnerfüllung

ZIEL


Einsamkeit

Ich bin einsam mitten unter Menschen.

Menschen sind um mich.

Ich rede mit ihnen.

Sie reden zu mir.

Sie berühren mich.

Ich lebe mit ihnen.

Aber: Ich spüre sie nicht.

Um mich herum habe ich eine hohe, undurchdringliche Mauer gebaut.

Ich selbst habe es so gewollt, Schicht um Schicht, immer höher, immer stärker.

Ich lebe hinter dieser Mauer.

Keiner kann sie wahrnehmen außer ich selbst.

Die Mauer macht einsam.

Aber ich kann nicht leben ohne sie.

Die Mauer läßt mich frieren,

Weil kein Licht und keine Wärme durch sie dringt.

Aber ich kann nicht leben ohne sie.

Die Mauer macht krank,

Weil sie das Atmen schwer macht.

Aber ich kann nicht leben ohne sie.

Weil ich hinter dieser Mauer lebe kann mich niemand verletzen.

Niemand kann mir wehtun, sie schützt mich.

Aber du, Gott, hast diese Mauer nicht gewollt.

Bin ich denn nicht anders geschaffen, als hinter dieser Mauer zu leben?

Und wenn sie einstürzt, wird sie mich erschlagen?!

Ich habe Angst, meinen Platz hinter der Mauer zu verlassen.

Bleibt mir meine Einsamkeit,

Die Sehnsucht nach etwas, das ich nicht kenne.

Einsamkeit schmerzt.

Einsamkeit tut weh.

Aber ich habe Angst, meinen Platz hinter der Mauer zu verlassen.


bekannt


ein tag wie viele

festgelegter tagesablauf

abarbeiten von streckenabschnitten

ziel: den tag vollbringen

du spürst: ich bin nicht allein

ein alter bekannter taucht auf

flüstert: ich bin da

erschrecken

aufschrecken

zu spät

schon hat der bekannte platz genommen

nicht neben dir

in dir

dringt durch deine hülle

nistet sich in deinem kopf ein

besetzt das zentrum deiner gefühle

ANGST

gedanken brennen dir schmerzen

gedanken lähmen deine bewegungen

gedanken rauben deinen frieden

ICH HABE DIE ANGST ÜBERWUNDEN

ICH BIN STÄRKER

ICH KÄMPFE FÜR DICH

BERGE MÜSSEN WEICHEN

FEINDE FALLEN

FESTUNGEN STÜRZEN EIN

du hebst den Kopf

du machst die Schultern gerade

du öffnest deinen mund:

verschwinde

hau ab

zieh leine

ich befehle

ich gebiete

in SEINEM namen

WEIL

ER ist meine hoffnung

ER ist mein ziel

ER ist bei mir

ER ist stärker

ER ist mächtiger

ER ist herrlich

ER ist sieger

ER ist HIER

freude

ein guter tag

auf dem weg zum ziel